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  • Philipp Quiel

Das Missbrauchsverbot im Kontext von Art. 15 DSGVO




Sehr geehrte Leserinnen und Leser,


viele von Ihnen würden sicherlich der Aussage zustimmen, dass Fragen zur missbräuchlichen Ausübung des Rechts auf Auskunft und Kopie aktuell sehr praxisrelevant und umstritten sind. Ich möchte mit Ihnen in diesem Editorial einige meiner Gedanken hierzu teilen. Bei einer potenziell missbräuchlichen Ausübung von Art. 15 DSGVO geht es in den aktuell geführten Diskussionen um Konstellationen, in denen auch oder sogar ausschließlich „datenschutzfremde“ Zwecke verfolgt werden. Um etwaige fremde Zwecke identifizieren zu können, steht zunächst in Frage, welche Motive dem Datenschutzrecht zuzuordnen sind. Laut ErwGr. 63 Satz 1 zur DSGVO dient das Auskunftsrecht dazu, „sich der Verarbeitung bewusst zu sein und deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu können“. An der EuGH-Rechtsprechung zur RL 95/46 EG wird außerdem erkennbar, dass das Auskunftsrecht auch die Ausübung anderer Betroffenenrechte und bspw. die Durchsetzung von Schadenersatz und gerichtlicher Rechtsbehelfe ermöglichen soll.


Zwischenmenschlich kann ich gut nachvollziehen, dass Unternehmen verwundert hinterfragen, ob sich Betroffene wirklich auf das Datenschutzrecht berufen können, wenn sie sogar offen mitteilen, die per Art. 15 DSGVO erhaltenen Informationen für etwas ganz Anderes verwenden zu wollen. Mit Blick auf den hohen Aufwand, der teilweise mit der Erfüllung der Ansprüche verbunden ist, liegt es aus Unternehmenssicht nahe, die Motivation bei solchen Konstellationen in Frage zu stellen.


Weil „dieselbe“ DSGVO in allen Mitgliedstaaten der EU und vom EWR gilt, sind auch in allen Ländern dieselben Kriterien für eine missbräuchliche Geltendmachung von Datenschutzrechten anzulegen. Für die Praxis ist es hilfreich, dass es im Recht der EU bereits ein eigenes, vom EuGH vor längerer Zeit entwickeltes Verständnis von missbräuchlichen Verhaltensweisen gibt. Im Unionsrecht ist es egal, ob in einer Verordnung, einer Richtlinie oder in einem anderen Rechtsakt selbst eine missbräuchliche Berufung auf darin garantierte Rechte ausdrücklich verboten ist. Nach ständiger EuGH-Rechtsprechung darf sich nämlich niemand jemals in missbräuchlicher Weise auf die Rechtsvorschriften der EU berufen. Dieses Missbrauchsverbot ist ein allgemeiner und ungeschriebener Rechtsgrundsatz (i. S. v. Art. 6 Abs. 3 2. Variante EUV), der denselben Rang wie die Grundrechte der GRCh hat. Gerade auch vor diesem Hintergrund ist es nicht nachvollziehbar, wieso sich mehrere deutsche Gerichte – ohne jeglichen Blick über den deutschen Tellerrand hinaus – auf § 242 BGB eingeschossen haben.


Schaut man sich die ständige Rechtsprechung des EuGH genauer an oder liest etwa einmal die Rn. 42 bis 50 der Schlussanträge zur Rs. Nowak, so wird deutlich, dass im Unionsrecht immer ein objektives und ein subjektives Kriterium erfüllt sein müssen. Mit „subjektiv“ ist dabei allgemein gemeint, was die auskunftsberechtigte Person erreichen will. Für das Vorliege eines Missbrauchs muss der wesentliche Zweck der Ausübung des Betroffenenrechts darin bestehen, einen „ungerechtfertigten“ Vorteil erlangen zu wollen. Beim Lesen einiger Urteile mag man den Eindruck gewinnen, dass eine hohe Anzahl an deutschen Gerichten pauschal von einem „ungerechtfertigten Vorteil“ ausgeht, wenn datenschutzfremde Motive feststellbar sind. Im Unionsrecht reicht es jedoch nicht aus, auf die subjektiv von Betroffenen verfolgten Motive allein abzustellen.


Es muss auch ein objektives Kriterium erfüllt sein. Dieses verlangt, dass die Ziele der Regelung in Art. 15 DSGVO verfehlt werden. Das Vorliegen genau dieses objektiven Kriteriums ist für Auskunftspflichtige jedoch denkbar schwer nachweisbar. Zu den Zielen des Auskunftsrechts gehören – wie eingangs erwähnt – dass sich Betroffene der Verarbeitung bewusst werden, deren Rechtmäßigkeit überprüfen können und andere Rechte ausüben können. Für mich ist es schwer vorstellbar, dass eine ausschließlich datenschutzfremde Motive verfolgende Person durch Erhalt der Auskunft nicht gleichzeitig auch sich der Verarbeitung der Daten bewusst wird. Was auch immer die Person später mit den Informationen unternehmen möchte, so tritt durch die Auskunftserteilung zwangsläufig auch immer ein Moment ein, in dem sich die betroffene Person auch der Datenverarbeitung bewusst wird.


Obwohl es für die Sendung „Wetten, dass…?“ nicht langt: Ich wette, dass der EuGH unter Verweis auf das objektive und subjektive Kriterium entscheiden wird, dass eine Ausübung des Auskunftsrechts nicht missbräuchlich ist, wenn die Zwecke der Geltendmachung zwar datenschutzfremd aber nicht rechtlich verboten sind.


Ihr

Philipp Quiel



Dieser Beitrag erschien als Editorial in der Ausgabe 09/2022 des Datenschutz-Berater.

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