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  • Prof. Dr. Alexander Golland

Fragen ragen über Klagen


Seit Mitte Oktober ist sie da: Die Abhilfeklage, liebevoll auch – in Anlehnung an ihr US-Pendant – „Sammelklage“ genannt. Die Musterfeststellungsklage, die wir vor allem aus dem Diesel-Abgasskandal kennen, wurde in ein neues Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz überführt und bekam eine „große Schwester“ – eben jene Abhilfeklage. Während die Musterfeststellungsklage eher kritisch beäugt wurde, da Verbraucher ihre Schadenspositionen individuell mittels einer Leistungsklage geltend machen mussten, ist nun auch das kollektive Einklagen gleichartiger Ansprüche möglich.


Vielleicht erinnern Sie sich an Steven Soderberghs Rechtsdrama „Erin Brockovich“, in dem Julia Roberts einem Chemiekonzern den Kampf erklärt und eine Sammelklage von über 600 Betroffenen vor Gericht bringt. Müssen wir nun damit rechnen, dass Anwälte durchs Land ziehen und Geschädigte suchen? Wohl eher nicht: Klagebefugt sind nur qualifizierte Verbraucherschutzverbände, die mindestens 50 potenziell Betroffene vertreten. Verbraucher können ihre Ansprüche, auf die sich die jeweilige Abhilfeklage bezieht, in einem entsprechenden Verbandsklageregister anmelden. Verläuft die Klage erfolgreich, wird das Unternehmen, sofern kein Vergleich zwischen den Parteien zustande kommt, zur Zahlung eines Gesamtbetrags verurteilt. Den Verbrauchern zustehende Beträge werden dann im Erfolgsfall von einem Sachwalter direkt an sie ausgezahlt.


Auch im Datenschutzrecht wird die Fruchtbarmachung dieses neuen Instruments diskutiert. Allerdings ist fraglich, ob dies tatsächlich zur Stärkung von Verbraucherrechten führt: Bis heute wurde keine einzige Musterfeststellungsklage, die auf die Feststellung der Verletzung datenschutzrechtlicher Vorschriften gerichtet ist, zum Klageregister angemeldet. Möglich, dass die Abhilfeklage dasselbe Schicksal ereilt und es bei der derzeitigen Praxis bleibt. Immerhin gibt es inzwischen eine ganze Reihe von Start-ups und Prozessfinanzierern, die auf die Geltendmachung datenschutzrechtlicher Schadensersatzansprüche spezialisiert sind. Der Reiz liegt in der Skalierbarkeit des Geschäfts, dessen potenzieller Ertrag sich aus dem Produkt aus Geschädigtenzahl und Schadenshöhe ergibt.


Was gibt es sonst noch an der Klagefront? Bekanntlich enthält die DSGVO keine Unterlassungsansprüche. Gehen damit Klagen auf Unterlassung ins Leere – oder doch nicht? Der BGH hat Ende September beschlossen, dem EuGH die Frage vorzulegen, ob sich aus Bestimmungen der DSGVO ein Unterlassungsanspruch ergibt (Az. VI ZR 97/22). Ich glaube: Ja. Allerdings erscheint mir die von verschiedenen Gerichten herangezogene Vorschrift, Art. 17 DSGVO, schlechthin ungeeignet – denn die Unterlassung ist auf die Zukunft gerichtet, eine einmalige Löschung (wofür auch erstmal die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen müssten …) hilft dem Betroffenen kaum weiter, sondern gibt ihm nur Steine statt Brot.


Mein Blick in die Glaskugel: Art. 18 DSGVO ist eine völlig unterschätzte Vorschrift. Aber wir werden sehen. Und: Wir werden Sie darüber auf dem Laufenden halten.


Ihr


Alexander Golland



Dieser Beitrag erschien als Editorial in der Ausgabe 11/2023 des Datenschutz-Berater.

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